Wie schätzen Sie die Situation momentan an den Börsen ein?
Ann-Katrin Peterson: Von sommerlicher Unbeschwertheit kann keine Rede sein. Denken Sie an die Inflation und die Zins- bzw. Konjunktursorgen. Aktien- und Anleihenkurse orientieren sich schon seit Monaten am südlichen Ende. Dieses ungewöhnlich anspruchsvolle Marktregime führt dazu, dass Investor*innen auch bei risikoärmeren Optionen, nehmen wir z. B. Staatsanleihen, keinen sicheren Hafen finden.
Hat sich die Situation auf lange Sicht, also nachhaltig, verändert?
Ann-Katrin Peterson: Die Unruhe an den Kapitalmärkten ist nicht mehr ganz so groß. Aber das Börsengewitter ist noch nicht vorbei. Da braucht es erst Antworten. Zum Beispiel auf die Frage Notenbanken im Kampf gegen angebotsinduzierte Inflationsrisiken tatsächlich eine wirtschaftliche Vollbremsung oder eine Verschnaufpause in ihrer Straffungspolitik einlegen, um sozusagen mit der Inflation zu leben. ✅
Woran kann das liegen?
Ann-Katrin Peterson: Nun, zuerst ist die Zahlungsbereitschaft der Aktieninvestor*innen für den erwarteten Ertragsstrom wegen der Aussicht auf höhere Leitzinsen gesunken. Und jetzt richtet sich die Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer*innen mehr auf die nicht auszuschließenden Abwärtsrisiken für die weltweite Konjunktur.
Können wir sagen, dass die Zeit der Pandemie was die weltweiten Wertschöpfungsketten betrifft, überstanden ist?
Ann-Katrin Peterson: Weit gefehlt. Auch über zwei Jahre nach Beginn der Pandemie laufen die weltweiten Wertschöpfungsketten noch nicht so rund, wie sie könnten. Im Gegenteil, sie dämpfen den Wachstumsausblick und heizen die Inflationsdebatte an. Und die russische Invasion in der Ukraine hat nicht nur auf Energie- und Nahrungsmittelmärkten bereits bestehende Lieferprobleme und Angebotsengpässe verschärft.
Wie schätzen Sie also die Lage ein?
Ann-Katrin Peterson: Wir halten zwar an unserer Einschätzung fest, dass die Gesamtsumme der Zinserhöhungen angesichts des Inflationsniveaus historisch niedrig ausfallen wird, machen uns aber kurzfristig auf Volatilität gefasst. 🔎
Wie sehen Sie die Situation der Zentralbanken?
Ann-Katrin Peterson: Die Zentralbanken stehen vor einem zentralen Dilemma. Sie stemmen sich immer mehr gegen die Inflationsrisiken.
Und dass, obwohl sich die USA und der Euroraum diesbezüglich auf dem höchsten Niveau seit 40 Jahren befinden?
Ann-Katrin Peterson: Ja! In den USA und im Euroraum sind die Inflationsrisiken weit oberhalb der Preisstabilitätsmarken der US-Notenbank Fed und Europäischen Zentralbank. Selbst wenn die Öl- und Gaspreise nicht noch einmal viel teurer werden und die Gesamtinflationsraten auf absehbare Zeit ihren Höhepunkt erreichen, ist nicht mit einem schnellen Rückgang der Teuerung zu rechnen. 💰
Was meinen Sie, was ist der gemeinsame Nenner für ein gebremstes Wirtschaftswachstums und den herrschenden Inflationsdruck?
Ann-Katrin Peterson: Egal ob pandemiebedingt oder kriegsbedingt – Engpässe sind der gemeinsame Nenner. Unternehmen fällt es einfach schwerer mit der Produktion hinterherzukommen, um die kräftige Nachfrage im wirtschaftlichen Neustart zu bedienen. Und warum? Weil es an Vorprodukten, aber auch Arbeitskräften mangelt.
Jetzt noch eine abschließende Frage. Was kann das für aktuelle und zukünftige Anlage-Entscheidungen bedeuten?
Ann-Katrin Peterson: Da darf ich etwas weiter ausholen. ⚖️Erstens, man sollte sich auf die Volatilität einstellen. In einer Welt, in der Angebotsfaktoren das Wichtigste sind, erwarten wir einen schwankungsreicheren, gesamtwirtschaftliche Nachrichtenfluss – und damit verbunden ist von einer erhöhten Volatilität an den Finanzmärkten auszugehen.
Zweitens, man sollte lernen mit der Inflation zu leben. Trotz den großen Bemühungen, die Inflation einzudämmen, werden sich Währungshüter*innen wohl mit etwas mehr davon abfinden. Dafür ergeben sich attraktivere Chancen bei inflationsgeschützten Staatsanleihen. 📊
In langfristig orientierten Portfolios bevorzugen wir weiterhin Aktien gegenüber Staatsanleihen. Und statt Aktien der Industrieländer bevorzugen wir Unternehmensanleihen hoher Bonität angesichts attraktiver Bewertungen bei geringem Ausfallrisiko.
Und drittens, man kann in die Zukunft investieren. 💶 Denn zusätzlich zur grünen Transformation der Wirtschaft ist das Bestreben, Energiesicherheit und -unabhängigkeit zu gewährleisten, verstärkt ins Zentrum der politischen und unternehmerischen Aufmerksamkeit gerückt. Um den Übergang zur „Netto-Null“ in ihre Portfolios einzubeziehen, können Anleger*innen in bereits grüne Firmen investieren, die entscheidend zur Energiewende beitragen. Gleichzeitig können Anleger*innen auch solche Unternehmen in Betracht ziehen, die zur Zeit noch kohlenstoffintensiv arbeiten, aber realistische, glaubwürdige Pläne zur CO2-Reduktion vorlegen. Und dann gibt es auch jene Unternehmen, die den Weg zum Klimaschutz mit der Bereitstellung von Rohstoffen, Infrastruktur und Dienstleistungen ebnen.
Wir danken für dieses Interview.
BlackRock ist der weltweit größte Vermögensverwalter und seit 2007 in Österreich aktiv. Dem Unternehmen geht es darum, einen einfachen Zugang zu Anlagemärkte zu ermöglichen und mehr Menschen bei ihrer finanziellen Vorsorge zu unterstützen.